Politik für Familien muss mehrheitsfähig sein. Aber wie soll das gehen, wenn ein großer Teil der Familienmitglieder - die Kinder - vom Wahlrecht ausgeschlossen sind? Und warum sind sie ausgeschlossen? Sind Wahlen allgemeine Wahlen, wenn ein Teil der Staatsbürger gar nicht wählen darf? Deshalb fordern immer mehr familienpolitisch Interessierte, Eltern, Juristen und Politiker ein Wahlrecht für alle Staatsbürger. Bei kleinen Kindern sollen es deren Eltern stellvertretend ausüben. Die Idee hat mittlerweile den Deutschen Bundestag erreicht. Im Jahr 2004 wird dort über einen entsprechenden Antrag beraten. 46 Abgeordnete aller Fraktionen haben den Antrag eingereicht, darunter auch der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und seine Stellvertreter Dr. Antje Vollmer und Dr. Hermann-Otto Solms. Zum Antragstext geht es hier: Bundestagsantrag 15/1544: Mehr Demokratie wagen durch ein Wahlrecht von Geburt an (pdf-Datei). Eine Sammlung von Statements zum Thema haben wir hier angefügt: FOCUS Heft 50/2002 vom 9.12.2002, Seite 14 Rheinischen Merkur Nr. 47, 21.11.2002 RHEINISCHER MERKUR: Bei einem Familienwahlrecht wären Kinder wahlberechtigt, ihre Stimme würde allerdings von ihren Eltern abgegeben. Müsste dafür die Verfassung geändert werden? PAUL KIRCHHOF: Ja. Denn das Grundgesetz bestimmt jetzt, dass Deutsche ein Wahlrecht erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres haben. Wir bräuchten also eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. RHEINISCHER MERKUR: Das ist eine gewichtige Hürde. Sie brauchen also gute Argumente. Welche sind das? Die Interessen der nachfolgenden Generation werden etwa bei der Staatsverschuldung, der Bildung, der Umweltpolitik und dem Renten- und Generationenvertrag nicht hinreichend berücksichtigt. Der Wähler der Zukunft, den die heutigen Parlaments- und Regierungsentscheidungen am meisten betreffen, weil er noch am langfristigsten deren Rechtsfolgen mitzutragen hat, bekommt kein Gehör. So stellt sich verfassungspolitisch die berechtigte Frage, ob man nicht ein Kinderwahlrecht, wahrgenommen durch die Eltern, etablieren sollte. RHEINISCHER MERKUR: Aber das widerspricht doch dem demokratischen Grundsatz der Stimmengleichheit one man, one vote. Nein, das sehe ich nicht so. Im Gegenteil, jeder Mensch bekommt eine Stimme, denn auch Kinder wären wahlberechtigt. Es besteht nur die Besonderheit, dass dieser junge Mensch mangels Entwicklungsreife noch nicht in der Lage ist, sein Stimmrecht selbst auszuüben, und deswegen die allgemeine Regel gilt, dass die Eltern die Rechte des Kindes wahrnehmen. RHEINISCHER MERKUR: Wie sehen andere Verfassungsrechtler das Familienwahlrecht? Lehnen sie es in Bausch und Bogen ab? Die Diskussion ist noch am Anfang. Unter Verfassungsrechtlern wird heute vor allem darüber nachgedacht, wie die Vertretung des Kindes in seinem eigenen Stimmrecht mit den Grundprinzipien einer direkten, unmittelbaren Wahl übereinstimmt. Ich sehe hier keine durchgreifenden Probleme. Hinter dem Familienwahlrecht steckt der Gedanke, dass ein Kind am verlässlichsten durch die beiden Menschen vertreten wird, die ihm ein Leben lang zugehörig sind, die das Vertrauen des Kindes verdienen, eben durch die Eltern. Das ist nicht lebensfremd, im Gegenteil, wir kennen die Vertretung Minderjähriger aus anderen Rechtsgebieten, etwa dem Zivilrecht. RHEINISCHER MERKUR: Kann das Familienwahlrecht das Bewusstsein schärfen, sich für Kinder einzusetzen? Ich denke, ja. Wenn wir das Stimmengewicht von Eltern stärken, so rücken wir den Gedanken in den Vordergrund, dass diese Menschen mehr Verantwortung für die Gesellschaft tragen als andere. Zudem wird die Rechtsordnung in der Ausrichtung auf das Kind zukunftoffener. Auch aus diesem Grund ist das Familienwahlrecht übrigens eine alte Idee: Schon der Kreisauer Kreis hat darüber diskutiert. RHEINISCHER MERKUR: Schön und gut. Aber es gibt doch Umsetzungsschwierigkeiten. Wer darf abstimmen, Vater oder Mutter? Was ist bei Geschiedenen? Was passiert, wenn die Eltern Ausländer sind, das Kind aber Deutscher? Das sind praktische Probleme, die man leicht lösen kann. Daran muss ein Familienwahlrecht nicht scheitern. Man sollte den Eltern natürlich gleiche Rechte geben: Jeder bekommt für jedes Kind eine halbe Stimme dazu. Hat ein Paar zwei Kinder, so erhält jeder Elternteil eine ganze Stimme dazu und so weiter. Auch die anderen Schwierigkeiten, so die Zurechnung nach Staatsangehörigkeit, kennen wir aus anderen Rechtsgebieten. Auch dort haben wir Lösungen gefunden. Quelle: ELTERN 12/2002, Seite 183-189 Bild am Sonntag, 7. Mai 2000 DIE WELT, 30.12.2002 Der Unternehmensberater Roland Berger prophezeit den Deutschen ein Jahrzehnt der Unsicherheit, und sieht den Bundeskanzler im Aufwind - Interview Zum Jahreswechsel wirft Deutschlands bekanntester Unternehmensberater Roland Berger einen verhangenen Blick in die Zukunft. Berger prophezeit ein Jahrzehnt der Unsicherheit und sehnt sich nach einem neuen Wirtschaftswunderminister wie Ludwig Erhard. Gleichzeitig sieht er Gerhard Schröder wieder erstarken: Der Bundeskanzler befreie sich gerade von der Umklammerung durch die Gewerkschaften, so wie er sich in der ersten Legislaturperiode vom damaligen Finanzminister Oskar Lafontaine befreit habe. Berger ist sich sicher: Aus dem „Nachbesserungskanzler“ wird ein „pragmatischer Polit-Manager“. Mit Roland Berger sprach Wolfgang Ehrensberger. | |||||||||||